Schuld trotz Vorfahrt!

Mai 1st, 2008

Auch der grundsätzlich an einer Kreuzung Vorfahrtsberechtigte ist verpflichtet, wenn er aus einem dem Anschein nach unbedeutenden und nicht einsehbaren Nebenweg kommt, sich mit äußerster Vorsicht in eine Kreuzung hineinzutasten, als wäre er wartepflichtig. Dies entschied das Oberlandesgericht Rostock in seinem Urteil vom 23.02.2007, amtliches Aktenzeichen 8 U 40/06.

In dem von den Richtern entschiedenen Fall näherten sich ein Motorradfahrer von rechts kommend aus einer unbefestigten Straße, die mehrere Dörfer und sogar zwei Bundesstraßen verbindet, und eine PKW-Fahrerin auf einer „normal asphaltierten Straße“ von links kommend einer nicht durch Verkehrszeichen geregelten und durch Pflanzenwuchs nicht einsehbaren Kreuzung. Es kam zum Unfall, wobei der Motorradfahrer schwer verletzt und sein Fahrzeug erheblich beschädigt wurde. Der Motorradfahrer machte seinen Schaden beim Landgericht Neubrandenburg geltend. Das Gericht gab der der Klage statt, da an der Kreuzung „rechts-vor-links“ gelte.
Auf die Berufung der PKW-Fahrerin hob das Oberlandesgericht Rostock das Urteil des Landgerichts insoweit auf, als die Richter ein Mitverschulden des Motorradfahrers von 40% annahmen. Die PKW-Fahrerin hafte nur zu 60%. Die PKW-Fahrerin durfte nicht allein aufgrund des unbefestigten Fahrbahnbelags von einem nachgeordneten Feld- oder Waldweg ausgehen. Entscheidend sei vielmehr die Verkehrsbedeutung des Weges. Der unbefestigte „Schotterweg“ verbinde mehrere Ortschaften und zwei Bundesstraßen miteinander, so dass diesem erhebliche überörtliche Bedeutung zukäme. Dagegen seien nur solche Straßen und Wege als Feld- und Waldwege untergeordnet, die überwiegend land- oder forstwirtschaftlich genutzt würden und keinerlei überörtliche Bedeutung hätten. Der Zweiradfahrer hätte trotz grundsätzlicher Vorfahrt sein Fahrverhalten an die örtlichen Verhältnisse anpassen müssen, da er aus einem dem Anschein nach unbedeutenden Nebenweg gekommen und aufgrund des Pflanzenwuchses nicht optisch wahrnehmbar gewesen sei. Auch der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer habe sich stets so zu verhalten, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt oder gefährdet werde. Der Motorradfahrer sei daher  verpflichtet gewesen, sich vorsichtig in die Kreuzung hineintasten, als wäre er wartepflichtig.
Bei unklarer Verkehrslage empfiehlt es sich, sich in die Gefahrenzone vorsichtig hineinzutasten und notfalls auf die eigene Vorfahrt zu verzichten, sonst kann es trotz „Vorfahrt“ teuer werden.

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